Führung

Ein gutes Netzwerk ist die halbe Miete

Interview mit Karin Tanger, motus5
  • Mentoring
  • Netzwerk
  • Unconscious Bias

Karin Tanger Quelle: Motus5

Karin Tanger hat viele Jahre als Führungskraft in der Digitalbranche gearbeitet. Als einzige Frau in Verantwortung merkte sie schnell, dass ihre Kolleg:innen, aber auch sie selbst sich mit unbewussten Vorurteilen konfrontiert sahen. Im Interview erzählt Karin von ihren Erfahrungen und gibt Tipps, wie man vorgefertigten Rollenbildern begegnen kann.


An welchem Punkt in deiner Karriere wurden Fragen nach Geschlechterrollen und Gleichberechtigung für dich wichtig?

Das Thema war für mich lange Zeit nicht relevant. Sicher gab es in meinem beruflichen Umfeld immer mehr Frauen als Männer. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich dadurch irgendwie behindert wurde. Als Managing Director für Marketing und Kommunikation bei der BTC AG fand ich mich dann plötzlich in einer Branche mit deutlich geringerem Frauenanteil wieder, als einzige Frau in einem zwölfköpfigen Management-Team.

Ich habe schnell gemerkt, dass da etwas anders war. Zunächst war da eher so ein diffuses Gefühl, dass ich nicht recht einordnen konnte. Mit der Zeit ist mir klar geworden, es geht um das Thema Zugehörigkeit. Die aktuelle psychologische Forschung sagt, einer der größten Hebel für das „gelingende Leben“, für Zufriedenheit und Wohlfühlen, ist der menschliche Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Und als einzige Frau im Team wird man ganz automatisch immer wieder auf das eigene Anderssein zurückgeworfen. Ich denke anders, ich spreche anders – und ich falle immer auf.

Wie meinst du das?

Als Einzige im Team bist du die Ausnahme von der Regel und gleichzeitig – ganz automatisch – Vertreterin eines Stereotyps. Spreche und handle ich als Karin Tanger? Oder spricht und handelt da die Frau in der Runde? Dann beginnt die Zeit der unterschiedlichen Strategien: sich noch mehr anpassen, zugeschrieben männliche Verhaltensweisen adaptieren? Oder, wie ich es an mir beobachtet habe, man fällt plötzlich selbst in die vermeintlich weiblichen Stereotype und betont unbewusst eine kümmernde, verbindende und emotionale Seite. So oder so – wirklich authentisch fühlt sich das nicht an.

Als einzige Frau im Team bist du die Ausnahme von der Regel und gleichzeitig – ganz automatisch – die Vertreterin eines Stereotyps.

Karin Tanger

Was kann ich in so einer Situation dagegen tun?

Erstens: Die Regeln ändern! Wenn es normal geworden ist, dass Frauen im Team arbeiten, werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen sichtbar. Dadurch treten die Individuen hervor und die Kolleginnen und Kollegen erkennen diese auch. Sie sind dann nicht mehr nur die Repräsentantinnen einer Gruppe. Dafür muss es gar nicht gleich die 50-%-Quote sein. Es reichen 30 %, um Wandel anzustoßen – egal, ob es dabei um Gleichberechtigung oder andere Themen geht.

Zweitens: Schaue auf dich selbst. Wenn du dich in deiner Rolle nicht wohlfühlst, liegt es sehr oft weder daran, dass du zu inkompetent bist, noch daran, dass dein Team dich bewusst diskriminiert. Vielmehr spielen unbewusste Vorurteile eine Rolle spielen. Wenn du das verstehst, kannst du dich ganz anders verhalten. Wichtig ist es, nicht in eine Ablehnungshaltung zu verfallen, sondern Bewegung in die Sache zu bringen.

Was hast du unternommen, um die Situation zu verändern?

Um authentisch zu bleiben und deine Stärken zu zeigen, brauchst du manchmal Unterstützung – ich habe sie unter anderem im Austausch in meinen Netzwerken gefunden. Ich habe mich in den Frauennetzwerken im Unternehmen engagiert. Im Austausch mit den anderen Frauen habe ich gemerkt, dass wir alle sehr ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Diese Erkenntnis hat mir sehr geholfen. Ich rate allen Frauen: Vernetzt euch! Dann ergibt sich die Möglichkeit, mit anderen über deine Themen zu sprechen, und ihr könnt euch gegenseitig unterstützen.

Was für Möglichkeiten siehst du über die Vernetzung hinaus?

Es gibt drei unterschiedliche Wege, die alle für sich richtig und kombinierbar sind. Die klassischen Mentoren-Programme helfen – ich habe aus beiden Richtungen an ihnen teilgenommen und empfand die Erfahrung als sehr bereichernd. Das Tandem muss auch nicht women-only sein – das gelingt im Mix ebenfalls sehr gut.

Ein professionelles Coaching ist oft eine großartige Sache: Dein Coach ist an deiner Seite, du bekommst Wertschätzung und Verständnis. Sie oder er gibt dir keine Anweisungen, sondern berät dich und stellt Fragen. Diese Begleitung kann sehr wertvoll sein.

Eine Grundlage für alles Weitere sind Frauenförderungsprogramme, wie wir sie bei motus5 anbieten. In diesen Programmen geht es darum zu verstehen: Wo stehe ich? Wie sehe ich mich selbst? Auf diese Weise können Stereotype erkannt und hinterfragt werden. Am Ende solcher Programme steht die Einsicht, wie ich in Bewegung kommen und meine Ziele erreichen kann.

Am erfolgreichsten ist, wer die eigenen Stärken kennt und sie nutzen kann. Frauen müssen nicht verbessert werden oder sich ändern. Das Ziel ist es, die vorhandenen Potenziale zu wecken.

Wir brauchen in den Unternehmen ein inklusives Umfeld, in dem sich Frauen ebenso entwickeln können wie Männer.

Karin Tanger

Wie können Unternehmen Frauen dabei unterstützen?

Wir brauchen in den Unternehmen ein inklusives Umfeld, in dem sich Frauen ebenso entwickeln können wie Männer. Frauen müssen genauso gut, entspannt und fröhlich arbeiten können wie ihre Kollegen. Dazu gehört auch, Führungspositionen positiv darzustellen. Verantwortung zu übernehmen, Dinge zu verändern und Entscheidungen zu fällen ist eine tolle Sache. Leider besteht bei vielen Frauen immer noch das Vorurteil, dass Chefin zu sein eine freudlose Angelegenheit ist.

Wie kann es gelingen, mehr Frauen für eine Karriere in der IT zu begeistern?

Die IT-Branche leidet unter einem Zerrbild, gerade bei Frauen. Die Branche bietet eine große Bandbreite an Tätigkeiten! Es gibt nicht nur den Nerd, umgeben von vielen Bildschirmen und begraben unter Zahlen. Die Unternehmen sollten zeigen, wie vielfältig, dynamisch und reizvoll das Arbeiten bei ihnen sein kann.

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