Best Practice

Die richtigen Worte zählen

Best Practice Tür an Tür – Digitalfabrik gGmbH
  • Diversity
  • Führung
  • Recruiting

Drei Menschen sitzen um einen Holztisch und lächeln in die Kamera. Quelle: Tür an Tür - Digitalfabrik gGmbH

Ein Start-up-Image gilt für viele junge Unternehmen als attraktiv. In Sachen Diversity kann das aber auch ins Gegenteil umschlagen. Die Tür an Tür – Digitalfabrik gGmbH hat genau das festgestellt, als sie vor drei Jahren die Mitarbeiterinnen im Team befragte. Heute arbeiten bei dem gemeinnützigen Start-up mehr Frauen als Männer. Dafür hat unter anderem eine veränderte Wortwahl in den Stellenanzeigen gesorgt.


Clara Bracklo, Co-Geschäftsführerin der Digitalfabrik, datiert die Initialzündung für den Veränderungsprozess auf den Weltfrauentag 2020. Damals kam im Rahmen von verschiedenen Blogbeiträgen die Frage auf: “Was machen wir eigentlich wirklich dafür, dass Frauen bei uns in der Organisation gut arbeiten können?” Zu diesem Zeitpunkt war nur ein Fünftel des Teams weiblich. Dabei präsentierte sich das Unternehmen durchaus als attraktiver Arbeitgeber: Das gesamte Team arbeitet Teilzeit, es gibt flexible Arbeitszeiten sowie einen Mindesturlaub von 30 Tagen.

Wie integrativ ist das eigene Team?

Das Augsburger Start-up entwickelt Apps und andere digitale Lösungen, die Geflüchteten das Ankommen in Deutschland und die Integration erleichtern sollen. “Wir arbeiten komplett wirkungsorientiert”, sagt Clara Bracklo, die als CEO für die Wirkungsmessung, das Reporting des Sozialunternehmens, verantwortlich ist. “Alle Projekte, die wir machen, machen wir, weil wir davon überzeugt sind, dass sie einen positiven sozialen Impact haben.” Hauptgesellschafter und inhaltlicher Impulsgeber ist der Verein Tür an Tür ebenfalls aus Augsburg. Er organisiert Projekte zur Beratung und Qualifizierung von Migrant:innen sowie zur Unterstützung des Engagements von Freiwilligen.

“Gerade in unserem Feld ist Diversity wichtig, weil wir digitale Lösungen für eine Zielgruppe schaffen, die in erster Linie nicht deutsch, weiß, männlich ist”, sagt Clara Bracklo. “Da ist es super relevant, dass wir selbst ein Bewusstsein haben, was Faktoren sein könnten, die wir beachten sollten.” Sie wollte herausfinden, ob es im eigenen Team blinde Flecken gibt, die dafür sorgen, dass Personen unbewusst ausgeschlossen werden.

Image geraderücken

In Einzelgesprächen mit den Kolleginnen kamen sowohl die förderlichen als auch die hemmenden Aspekte auf den Tisch. Dabei zeigte sich, dass sich die Digitalfabrik sehr “Start-up-geistig” präsentierte – männlich, weiß, jung. “Wir hatten noch sehr den Sprech von ‘Es gibt Team-Events’, ‘Wir sind so cool und hip’. Das spricht zum Beispiel Eltern mit kleinen Kindern nicht an”, erzählt Clara Bracklo. “Diese denken eher: Da passe ich nicht in die Kultur hinein.”

Die Unternehmenskultur war noch stark vom eher homogenen Team aus der Anfangszeit der Digitalfabrik geprägt: Studierende der TU München und der Universität Augsburg starteten ehrenamtlich im Jahr 2015 – als sehr viele Menschen nach Deutschland flüchteten – das Projekt INTEGREAT zusammen mit Tür an Tür. 2016 wurde die gemeinnützige GmbH gegründet.

Aus den IT-Teams hörte Clara Bracklo auch: “Ich bin die einzige Frau beim Teamevent. Das fühlt sich nicht so toll an. Es wäre supercool, wenn wir ein diverseres Team wären. Wir würden bessere Code-Qualität liefern. Wir würden uns alle wohler fühlen. Das bringt uns alle voran.”

Prioritäten und Diversity-Workshop

Anhand der internen Bestandsaufnahme und einer Recherche von Best Practices anderer Organisationen entwickelten Clara Bracklo und Daniel Kehne, der Gründer und zweite CEO, ein Bündel möglicher Maßnahmen. Diese wurden nach “leicht umzusetzen” beziehungsweise “ressourcenintensiver” priorisiert.

Ein Diversity-Workshop mit Tür an Tür sensibilisierte das gesamte Team für Geschlechterstereotype und deren Auswirkungen. Die Mitarbeitenden entwickelten einen Aktionsplan, der von Gesprächsregeln bis zum Wunsch nach einer diversity-beauftragten Person reichte.

Mehr Bewerbungen durch gendergerechte Stellenanzeigen

Konsequent gendergerecht formulierte Stellenanzeigen – eine Maßnahme aus der Prio-Spalte “geringer Aufwand” – haben dazu geführt, dass sich heute mehr Frauen bei der Digitalfabrik bewerben. “Es reicht nicht zu schreiben: Entwickler (m/w/d)”. Das funktioniert nicht in einem Markt, der so heiß umkämpft ist”, sagt die studierte Kulturwissenschaftlerin.

Das Unternehmen beschreibt stattdessen die Stellen so, dass sich Frauen mitgenommen fühlen: “Die Anforderungen sind eine Wunschliste. Bewirb dich gerne, auch wenn du nicht alle Anforderungen erfüllst. Du kannst bei uns vieles lernen.” Das ist wichtig, weil gerade viele Frauen glauben, alle genannten Kriterien erfüllen zu müssen, und hohe Ansprüche an sich selbst stellen. Clara Bracklos Erfahrung bestätigt, was Forschende herausgefunden haben: “Es bewerben sich nicht etwa schlechtere Personen. Sondern es bewerben sich Personen, die sagen, ich bin mir nicht ganz sicher bei dem einen Punkt. Und dadurch bekommen wir insgesamt mehr Bewerbungen.”

Eine eigene Rolle für Diversity

Veränderungen im Bewerbungsprozess, eine ausgewogenere Außendarstellung und gendergerechte Stellenanzeigen haben dafür gesorgt, dass auch in der Softwareentwicklung fast zur Hälfte Frauen arbeiten. Bei der Digitalfabrik stellt sich nun häufiger die Frage, ob bei Präsenz-Events eigentlich eine Kinderbetreuung notwendig ist. Eine Frauenquote brauchte das Unternehmen hingegen nicht einzuführen, auch wenn die Maßnahme grundsätzlich sinnvoll sein kann.

Gerade wird in der wachsenden Organisation die Rolle eine:r Diversity-Beauftragten geschaffen. Bislang hat Clara Bracklo das zusätzlich zu ihrem Geschäftsführungsjob übernommen. Aber: “Es ist nicht optimal, wenn Diversity aus Zeitgründen mit anderen Themen in Konkurrenz steht. Das ist so zentral und muss immer mitgedacht werden. Es braucht in meinen Augen ein proaktives Handeln, in einer Gesellschaft, in der aktuell noch nicht alle  Menschen gleichbehandelt werden und gleich gute Voraussetzungen bekommen.”

Geschäftsführung sollte vorangehen

Clara Bracklo und Daniel Kehne, haben gute Erfahrungen damit gemacht, die Mitarbeitenden aktiv nach ihrer Sicht der Dinge zu fragen. Wichtig sei es, den Wunsch nach Verbesserung klar zu kommunizieren und offen damit umzugehen, dass man als Geschäftsleitung nicht alles, und schon gar nicht alles am besten weiß.

“Man sollte nicht Angst davor haben, dass irgendwer mitreden will. Sondern immer positiv sagen: Wir wollen lernen”, findet Clara Bracklo. “Niemand ist davon frei, unbewusste Bias zu haben. Deswegen ist es auch nicht schlimm zu sagen, ich brauche eine:n Expert:in von außen, die mir dabei hilft, mit der eigenen Unwissenheit umzugehen.”

Diversität müsse von der Geschäftsführung vorgelebt und gefördert werden, damit der Kulturwandel nachhaltig wird. Sie sollte aktiv dabei sein, statt nur Mitarbeitende in Workshops zu schicken oder eine gendergerechte Sprache festzulegen, und diese dann selber nicht zu verwenden. “In Geschäftsführungen würde ich mir mehr Wertschätzung für das Thema und die Personen, die das machen, wünschen. Auch dafür wie wichtig und wie schwierig das ist. Das ist ein Systemwandel, der im Kopf passieren muss.”

Dazu gehöre auch, Diversity nicht nur als Fachkräftethema zu behandeln, sagt Clara Bracklo: “Ich würde mich als Person nicht angesprochen fühlen, wenn ich als reine Ressource gesehen werde. Man sollte erkennen: Wir haben Strukturen, die Personen benachteiligen und ausschließen. Und die wollen wir ändern, damit wir nachhaltig gute Digitallösungen entwickeln können.”

Bleib auf dem Laufenden